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Nachhaltigkeit und Psyche: Die Kunst der Verbindung macht den Unterschied

Aktualisiert: 23. Nov. 2024

Wenn wir uns mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, denken wir häufig an den Schutz der Umwelt, den sparsamen Umgang mit Ressourcen und die Bewahrung der Natur für kommende Generationen. Doch Nachhaltigkeit endet nicht bei der Erde und den natürlichen Ressourcen. Auch unsere Psyche verlangt nach einem nachhaltigen Umgang – einem, der langfristig unser inneres Gleichgewicht bewahrt und uns widerstandsfähig gegenüber den Herausforderungen des Lebens macht. In der zweiten Folge von "Geography meets Psychology" werde ich diese spannende Verbindung zwischen Nachhaltigkeit und seelischer Balance näher beleuchten.


Koya-san wird oft als der mystischste Berg Japans bezeichnet – ein Land, das an geheimnisvollen Bergen reich ist. Die Atmosphäre hier oben hat eine einzigartige Tiefe. Besonders eindrucksvoll ist der Besuch des Okuno-in, des größten buddhistischen Friedhofs Japans. Hier verschmelzen Seele und Wald auf ganz besondere Weise zu einem Erlebnis, das gleichzeitig berührt und beruhigt.

Foto: Passon


Nachhaltigkeit und Psyche

Nachhaltigkeit im klassischen Sinne bezieht sich auf die Erhaltung und Pflege von Ressourcen, um ein langfristiges Überleben zu sichern. Diese Definition lässt sich direkt auf unsere Psyche übertragen: Unsere psychische Gesundheit ist ebenso eine Ressource, die wir pflegen und schützen müssen, um langfristig leistungsfähig, resilient und glücklich zu sein.

Wenn wir unsere psychische Energie überbeanspruchen – durch ständigen Stress, Selbstvernachlässigung oder das Ignorieren unserer emotionalen Bedürfnisse – führt das zu einem inneren Ungleichgewicht. Burnout, Angststörungen und depressive Verstimmungen sind oft das Ergebnis. Genauso wie die Erde bei Übernutzung aus dem Gleichgewicht gerät, erschöpft sich unsere Psyche, wenn wir sie nicht nachhaltig pflegen.


Der Begriff "Nachhaltigkeit" hat seine Wurzeln in der Forstwirtschaft und geht auf Hans Carl von Carlowitz zurück, der als Schöpfer des Nachhaltigkeitsprinzips gilt. In seinem 1713 veröffentlichten Hauptwerk Sylvicultura oeconomica. Anweisung zur wilden Baum-Zucht legte Carlowitz den Grundstein für das, was wir heute als nachhaltiges Wirtschaften verstehen. Er schrieb: „Wird derhalben die größte Kunst, Wissenschaft, Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe, weiln es eine unentberliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Esse (im Sinne von Wesen, Dasein) nicht bleiben mag.“ Mit diesen Worten beschrieb Carlowitz eine Vision der Ressourcennutzung, die weit über die bloße Bewirtschaftung des Waldes hinausgeht. Er betonte die zentrale Bedeutung des Waldes für das „Wesen“ und die Existenz eines Landes.


Sein Ansatz zielte darauf ab, die natürliche Ressource Holz so zu nutzen und zu pflegen, dass sie den Bedürfnissen der gegenwärtigen Generation gerecht wird, ohne die Lebensgrundlage künftiger Generationen zu gefährden. In einer Zeit, in der Holz unverzichtbar für den Bau, die Wärmegewinnung und viele handwerkliche Tätigkeiten war, erkannte Carlowitz die Notwendigkeit eines Kreislaufs – einer „continuierlichen“ Nutzung, die dem Wald genügend Zeit zur Regeneration gibt und so die Balance zwischen Entnahme und Neuwachstum wahrt. Damit legte Carlowitz das Fundament für das Prinzip der Nachhaltigkeit, das heute weit über die Forstwirtschaft hinausreicht und als Maßstab für ökologisches, ökonomisches und soziales Handeln weltweit gilt.


Der Wald ist weit mehr als nur ein ökologischer Lebensraum; er ist eine unverzichtbare Ressource für das Leben auf der Erde und für unser seelisches Wohlbefinden. Als ökologische Ressource stellt der Wald ein komplexes Ökosystem dar, das saubere Luft, Wasser und Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten bietet. Bäume absorbieren CO₂, filtern Schadstoffe und fördern durch ihre Wurzeln die Bodenqualität und das Wassersystem. Ohne den Wald wären das Klima und die Biodiversität stark bedroht.


Gleichzeitig ist der Wald eine psychische Ressource, die uns Ruhe und Erholung bietet. Studien zeigen, dass Aufenthalte im Wald den Stresslevel senken, den Blutdruck regulieren und die Konzentration verbessern können. Die sogenannte "Waldbaden"-Praxis, die aus Japan stammt, hat sich mittlerweile weltweit etabliert, um die wohltuende Wirkung der Natur auf Körper und Geist zu nutzen. Der Wald regt mit seinen vielfältigen Eindrücken unsere Sinne an und schafft so eine natürliche Entschleunigung, die uns hilft, vom hektischen Alltag Abstand zu gewinnen und innere Balance zu finden.


Ein Spaziergang im Wald verbindet uns mit der Natur und weckt das Gefühl der Verwurzelung. Das Erleben dieser Ruhe fördert Achtsamkeit, stärkt das seelische Gleichgewicht und kann langfristig die psychische Widerstandskraft erhöhen. Der Wald wird so zu einem Rückzugsort, der uns nicht nur als ökologisches System, sondern auch als Quelle seelischer Stärke und Resilienz unterstützt.


Die Bedeutung von Selbstfürsorge

Ein Schlüssel zur psychischen Nachhaltigkeit ist die Selbstfürsorge. Das bedeutet, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und aktiv etwas für das eigene Wohlbefinden zu tun. Das kann in Form von Achtsamkeitsübungen, Bewegung, sozialem Austausch oder einfach durch Pausen geschehen. Selbstfürsorge hilft dabei, das innere Gleichgewicht wiederherzustellen und zu erhalten.


Oft haben wir leider das Gefühl, immer funktionieren zu müssen, keine Schwäche zeigen zu dürfen oder ständig produktiv sein zu müssen. Doch das führt dazu, dass wir uns innerlich erschöpfen, vergleichbar mit einer überbeanspruchten Ressource. Indem wir uns Zeit nehmen, um uns zu regenerieren, sorgen wir dafür, dass wir langfristig widerstandsfähig bleiben – sowohl emotional als auch körperlich.


Die Psyche als Teil eines größeren Ökosystems

Unsere Psyche steht in enger Verbindung mit der äußeren Welt. So wie wir auf die Umwelt einwirken, wirken auch unsere psychischen Zustände auf die Gesellschaft und unsere Umwelt zurück. Ein achtsamer und nachhaltiger Umgang mit der Psyche kann also nicht nur unser eigenes Leben verbessern, sondern auch zu einer positiveren und bewussteren Gesellschaft beitragen.


Wenn wir im Einklang mit uns selbst sind, strahlen wir das nach außen aus. Wir treffen Entscheidungen, die uns nicht nur persönlich guttun, sondern auch im Einklang mit unserer Umwelt stehen. Diese Wechselwirkung zwischen psychischer Gesundheit und äußerer Nachhaltigkeit zeigt, dass beide Bereiche eng miteinander verknüpft sind. Nur wenn wir in unserem Inneren ein Gleichgewicht finden, können wir auch nachhaltig im Umgang mit der Umwelt agieren.


Wege zu einer nachhaltigen Psyche

  1. Achtsamkeit üben: Achtsamkeit bedeutet, im gegenwärtigen Moment zu leben und sich bewusst wahrzunehmen. Studien zeigen, dass regelmäßige Achtsamkeitspraktiken Stress reduzieren und das allgemeine Wohlbefinden fördern. Achtsamkeit hilft, die eigene psychische Gesundheit zu stabilisieren und Überforderung vorzubeugen.

  2. Grenzen setzen: Um psychische Nachhaltigkeit zu erreichen, ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu respektieren. Zu oft neigen wir dazu, uns zu überfordern, sei es im Beruf, im Privatleben oder durch soziale Verpflichtungen. Indem wir bewusst „Nein“ sagen, schützen wir unsere Ressourcen.

  3. Soziale Verbindungen pflegen: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Beziehungen, die auf Unterstützung, Wertschätzung und Mitgefühl basieren, tragen wesentlich zur psychischen Gesundheit bei. Nachhaltige Beziehungen helfen uns, emotionale Ressourcen zu erhalten und geben uns Stabilität.

  4. Naturverbundenheit leben: Die Verbindung zur Natur hat nachweislich positive Auswirkungen auf unsere Psyche. Ein Spaziergang im Wald, Zeit am Wasser oder einfach der Blick auf eine grüne Landschaft kann das Stresslevel senken und die emotionale Ausgeglichenheit fördern. Indem wir uns wieder stärker mit der Natur verbinden, schaffen wir nicht nur eine nachhaltige Beziehung zu unserer Umwelt, sondern auch zu uns selbst.


Die Kunst der Verbindung macht den Unterschied.

In jedem Bereich führt Erfolg oft darauf zurück, wie gut wir es schaffen, Verbindungen herzustellen – mit Menschen, Ideen oder auch mit uns selbst. Echte Verbindung erfordert Empathie, Aufmerksamkeit und Verständnis, wodurch aus alltäglichen Begegnungen bedeutungsvolle Interaktionen werden. Ob in Beziehungen, Arbeit oder Kreativität – die Tiefe unserer Verbindungen ist es, die uns auszeichnet und es uns ermöglicht, zu inspirieren, zu beeinflussen und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.


Fazit: Nachhaltigkeit beginnt im Inneren

Nachhaltigkeit umfasst weit mehr als den Umweltschutz – sie betrifft auch unsere innere Welt. Eine psychisch nachhaltige Lebensweise fördert nicht nur das persönliche Wohlbefinden, sondern strahlt auf unsere Beziehungen und unser Verhalten in der Welt aus. Selbstfürsorge, Achtsamkeit und der bewusste Umgang mit unseren emotionalen Ressourcen sind dabei zentrale Elemente. Indem wir uns um unsere Psyche genauso achtsam kümmern wie um die Umwelt, legen wir den Grundstein für ein gesundes, ausgeglichenes und nachhaltiges Leben.



Literatur:

Bauer, N. & Martens, D. (2010). Die Bedeutung der Landschaft für die menschliche Gesundheit. Ergebnisse neuster Untersuchungen der WSL. Landschaftsqualität. Konzepte, Indikatoren und Datengrundlagen. Forum für Wissen 2010, 43-51.


Berman, M. G., Jonides, J., & Kaplan, S. (2008). The Cognitive Benefits of Interacting With Nature. Psychological Science, 19(12), 1207-1212.


Berman MG, Kross E, Krpan KM, Askren MK, Burson A, Deldin PJ, Kaplan S, Sherdell L, Gotlib IH, Jonides J. (2012). Interacting with nature improves cognition and affect for individuals with depression. J Affect Disord.140(3):300-5.


Carlowitz, H. C. von (1713): Sylvicultura Oeconomica, Oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung Zur Wilden Baum-Zucht. (München, Bayerische Staatsbibliothek: https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb10214444?page=,1)


Kistemann, T. (2010). Good health through nature conservation? Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 161, 69-74.


Martens, D., Gutscher, H. & Bauer, N. (2011). Walking in „wild“ and „tended“ urban forests: the impact on psychological well-being. Journal of Environmental Psychology, 31, 36-44


Miyazaki, Y. (2018). Shinrin Yoku - Heilsames Waldbaden: Die japanische Therapie für innere Ruhe, erholsamen Schlaf und ein starkes Immunsystem. Irisiana Verlag.

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